Mittelalter trifft auf Fun-Generation

317Kritik der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung
vom 05.03.2001
zum Stück „Das Gespenst von Canterville“:

 

Geistvolle Inszenierung: Oscar Wildes Komödie „Gespenst von Canterville“ in der Kulturfabrik

HILDESHEIM. „Ich glaube nur an das, was ich mit diesen beiden Händen ergreifen kann!“ Und doch begeht Sir Simon de Canterville die Unvorsichtigkeit, seinem liebesgekränkten Freund mehr Glauben zu schenken als der Treue seiner eigenen Frau. Ein fataler Fehler mit ungeahnten Folgen, denn rasend vor Eifersucht, ermordet er sein geliebtes Weib und muss fortan als ruheloser Geist in den eignen Gemäuern spuken. Erlösung kann nur das liebevolle Verständnis einer „strahlende Maid“ bringen. Doch auf die muss der getäuschte Edelmann 400 lange Jahre warten.

Mit viel Wortwitz und Charme ist es dem Braunschweiger Regisseur und Autor Markus Wiegand gelungen, Oscar Wildes Erzählung „Das Gespenst von Canterville“ in modernen Theatergenuss zu verwandeln. Wilde, der wie kein anderer Geschichten zu erzählen wusste, in denen er nur zu gern mit kritisch ironischem Blick die Gesellschaft des 19. Jahrhundert aufs Korn nahm, hätte seine helle Freude gehabt an dem satirischen Blickwinkeln Wiegands.

Unterstützt durch die hoch motivierte Truppe des „Theaters Fanferlüsch“, lässt Wiegand Geisteshaltungen auf einander treffen, die unterschiedlicher nicht seinen können: Mittelalter versus „Fun-Generation“.

Nur wenige Requisiten sind nötig, um dem Theatersaal der Kulturfabrik den nötigen Charme zu verleihen: Kaminsims mit Ölschinken, von vierflammigen Kerzenleuchtern in schummriges Licht getaucht, ein lange Tafel mit Damasttuch und Silberbesteck nebst englischem Butler – wunderbar arrogant blasiert interpretiert von Volker Wolf – machen die Szenerie perfekt. Voller Spannung erwartet man hier das Eintreffen der „Amerikaner“, die das alte Anwesen samt Geist retten sollen. Als diese dann mit viel Lärm und aufgeklärten Geschwafel einfallen, ist eines schnell klar: Mit der vornehme Ruhe ist es nun auf Schloss Canterville endgültig vorbei.

Furiose Regie-Einfälle wie ein Schwertkampf à la Errol Flynn oder Hard-Rock-Persiflagen mit Discofeeling machen die Inszenierung zu einer Komödie mit Geist und Action, bei der das Publikum oft minutenlang nicht aus dem Lachen heraus kommt. Besonders wenn Nikolai Radke und Tobias Tank als coole „Max und Moritz“-Version der Fun-Generation einen Gag nach dem nächsten servieren.

Aber auch die feinfühlige Liebesgeschichte zwischen Virgina Ottis – überzeugend Verena Niesmann – und Sir Cantervilles Widersacher George Malvosin, dem letzten Nachfahren seines verräterischen Freundes, lässt wohl niemanden unberührt. Auch wenn ihre „Bühnenbrüder“ nicht mit Spott sparen. Schauspielerische Höhepunkte des Stücks sind ohne Frage die Auftritte Sir Simon de Cantervilles, der durch Carsten Schrödter eine eindrückliche Persönlichkeit gewinnt. Ob als ketzerischer Edelmann, als trunkener Raufbold oder Philosoph der Liebe, immer bleibt Schrödter glaubhaft und überzeugend – und zwar ohne lästige Übertreibungen.

Wenn schließlich nach zweieinhalb Stunden Liebe und Verständnis siegen und endlich Ruhe einkehrt in Schloss Canterville, ist der begeisterte Schlussapplaus des Publikums wohl verdienter Lohn für geistvolle Unterhaltung. aus

(c) Archiv Hildesheimer Allgemeine Zeitung

veröffentlicht am von fanferluesch