Eine Sprache mit vielen Möglichkeiten

Gebärdendolmetscherin Cornelia Berge Hänel (l.) übersetzt eine Aufführung des Theaters Fanferlüsch. (Foto: Susanne Hübner)

Gebärdendolmetscherin Cornelia Berge Hänel (l.) übersetzt eine Aufführung des Theaters Fanferlüsch.
(Foto: Susanne Hübner)

Kritik der Neuen Braunschweiger
vom 08.01.2004
zum Stück „Das zweite Gesicht„:

 

In der Pause ist es ganz ruhig im Theaterfoyer – die meisten Zuschauer unterhalten sich in Gebärdensprache, weil sie nich höhren können. Das Stück verstehen sie trotzdem: Zwei Dolmetscherinnen übersetzten alles, was die Schauspieler sagen, in Gebärdensprache.
Eine von ihnen ist Cornelia Berge Hänel. Nur selten wird die hauptberufliche Gebärdendolmetscherin bei Ereignissen wie der Aufführung des Theaters Fanferlüsch eingesetzt. „Menschen, die nicht hören können, sind von den meisten kulturellen Veranstaltungen ausgeschlossen“, sagt sie. Zwar ist die Gebärdensprache seit zwei Jahren als offizielle Sprache anerkannt, aber vom Staat werden die Kosten nur in amtlichen Fällen übernommen, wie etwa vor Gericht oder bei Sozial- und Jugendämtern.
„Fast alle Gehörlosen unterhalten sich in der Gebärdensprache“, sagt Berge Hänel. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es scheinen mag: Unter Pädagogen ist die Gebärdensprache so umstritten, dass sie, so Berge Hänel, an Gehörlosenschulen nicht unterrichtet wird – und lange Zeit sogar verboten war.
Viele meinten, dass Hörgeschädigte sich den Hörenden anpassen sollten, indem sie Lippenlesen und Sprechen lernen. Aber Schulkinder bekämen beim Lippenlesen gerade mal ein Viertel des Gesprochenen mit, sagt Berge Hänel: „Ob jemand Mutter oder Butter sagt, kann keiner an der Lippenbewegung erkennen.“
So lernten viele Gehörlose auch nur schlecht Lesen und Schreiben, blieben oft auf einem niedrigen Bildungsstand. „Nach meiner Erfahrung entwickelt sich der besser, wenn sie von Anfang an die Gebärdensprache erlernen“, sagt Berge Hänel. Eine Sprache, die vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten hat: Neben Gebärden für einzelne Wörter und Wortgruppen gibt es ein Fingeralphabet zum Buchstabieren und Mundgebärden, die Wörter lautlich abbilden und die Gesten ergänzen.
Auch in der Gebärdensprache gebe es Dialekte und Jargons. „Gehörlose Kinder entwickeln oft ein Schulhof-Kauderwelsch“, sagt Berge Hänel. Wenn sie dolmetscht, stellt sie sich auf die individuelle Ausdrucksweise ihrer Gesprächspartner ein.
Gemeinsam mit einer Kollegin leitet Berge Hänel die erste Gebärdendolmetscher-Agentur Niedersachsens. Für sie „ein ganz normaler Beruf“ – auch wenn der Berufsverband Niedersachsen nur 17 Mitglieder zählt. Das Dolmetschen des Theaterstücks hat der Stadt- und Regionalverband der Hörgeschädigten Braunschweig (auris) mit Spenden finanziert (*). Die Resonanz war sehr groß, nicht zuletzt, weil die Veranstaltung bot, dass Gehörlose und Hörende gemeinsam etwas unternehmen konnten – und dabei gleich viel Spaß hatten.

 

(*) Hier irrt die Autorin: initiiert, organisiert und finanziert wurde die Veranstaltung vom Theater Fanferlüsch.

(c) Archiv Neue Braunschweiger vom 08.01.2004

veröffentlicht am von fanferluesch